Outtakes

Outtake 3 - aus der Rohfassung von „Das Rätsel der Templer“

Kürzung aus Kapitel 6

13. Oktober 1307,  mittags -  Tod eines Templers

 

 

Ungefähr eine halbe Meile nachdem sie die Marne überquert hatten, erreichten sie einen Weiler mit wenigen Bauernhäusern, hinter deren Fenstern hier und da ein spärliches Licht brannte. Als sie ein  größeres Anwesen passierten, näherte sich eine Rotte von Hunden mit einem bösartigen Knurren und der ein oder andere fletschte sogar herausfordern die Zähne. Atlas stieg nervös und Gero ließ ihn gewähren, als er mit den Vorderhufen auf die ungebetenen Angreifer einschlug, mit dem Ergebnis, dass er die Meute fürs Erste vertrieb. Ein Grund unter vielen, zu überlegen, ob es vielleicht doch besser war, in einer der Bauerkaten um Einlass zu bitten, anstatt im Freien zu übernachten. Und so saß Gero ab und übergab Struan die Zügel, um an das erst beste Haus zu klopfen. Das Gehöft war ziemlich groß und verfügte über zwei Stockwerke. Wie die meisten Häuser in Lothringen war es aus solidem Fachwerk erbaut, was darauf schließen ließ, dass seine Besitzer keine armen Leute waren. Ein beeindruckender Misthaufen, direkt neben der Scheune, dessen süßlich penetranter Gestank bis über die Straße waberte, zeugte zudem von entsprechender Viehwirtschaft.

Geros erneutes Klopfen auf die Tür aus massivem Eichenholz fiel vielleicht eine Spur zu energisch aus, als niemand reagierte und er noch einmal mit der geballten Kraft seiner Faust auf das harte Holz hämmerte. Mit einem entnervten Seufzer lehnte er sich abwartend in den Torbogen. Endlich hörte er Schritte und die Tür wurde erneut geöffnet. Jemand hielt ihm eine flackernde Kerze vor die Nase und im ersten Moment war er zu geblendet, um zu erkennen, wer ihm da öffnete, lediglich eine erschrockene Frauenstimme ließ die Hausherrin vermuten. „Jessus Maria hilf“, kreischte die Vettel unangenehm hoch, „es sind Templer!“

Krachend wurde die Tür wieder zugeworfen. Offenbar hatte die Frau allein beim Anblick des weißen Umhangs in Kombination mit Geros martialischer Erscheinung den entsprechenden Schluss gezogen und damit all ihren Vorurteilen, die sie der Miliz Christi entgegen brachte, freien Lauf gelassen.

Abgesehen davon, dass man ihn nicht empfangen wollte, konnte er beruhigt feststellen, dass die Frau zwar französisch sprach, aber eindeutig einen lothringischen Akzent hatte. Ein Hinweis darauf, dass sich die deutsche Grenze ganz in der Nähe befand.

Drinnen im Haus entbrannte unterdessen eine heftige Debatte, warum sie dem Fremden nicht öffnen wollte. Ungeachtet dessen versuchte Gero sein Glück noch einmal von vorn. Wieder klopfte er, doch diesmal um einiges sanfter.

„Ich glaube, man ist sich noch nicht ganz einig, ob man uns Einlass gewähren soll“, bemerkte Johan lakonisch. „Vielleicht solltest du beim nächsten Versuch die Streitaxt zur Hilfe nehmen.“ Der rothaarige Ritterbruder grinste ihn an, was bei seinem vernarbten Gesicht immer ein wenig schräg ausfiel.

Gero war nicht zum Grinsen zumute. Er dachte an Amelie und an Matthäus, deren Sicherheit ihm wichtiger war, als der eigene Stolz. „Ich muss dir Recht geben, das könnte die Angelegenheit unschwer beeinflussen“, pflichtete er Johan bei und senkte ungehalten den Kopf wie ein schnaubender Stier.

Einen Augenblick später wurde die Tür aufs Neue geöffnet und diesmal trat ein älterer, korpulenter Kerl mit einer Glatze heraus. Er war ein ganzes Stück kleiner als Gero und trug die typisch grobe Kleidung eines bäuerlichen Lehnsmannes, die sich auf die Farben braun und grau beschränkte.

„Womit kann ich Euch dienen, Herr“, wollte er mit einem verunsicherten Ausdruck in seinen kleinen, eng zusammenstehenden Augen wissen.

„Empfängt man so einen Mann Gottes, der für das Kreuz gekämpft hat?“ fragte Gero in lothringischem Dialekt.

„Verzeiht mein Herr“, rechtfertigte sich der Mann kleinlaut, „meine Frau hat eine falsche Meinung von Euresgleichen. Also sagt, was ist Euer Begehr?“

„Wir benötigen eine Unterkunft für eine Nacht“, erwiderte Gero geduldig.

„Wie viele seid Ihr?“, fragte der Mann und reckte seinen kurzen Hals zögernd zur Tür heraus, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Gero erkannte die Furcht in den kleinen Mausaugen des Mannes, dass eine Horde berüchtigter Templer ihm womöglich Haus und Hof auf den Kopf stellen könnte.

„Wir sind vier Männer, eine Frau und ein Junge“, antwortete Gero mit seiner dunklen, ruhigen Stimme. Der Bauer setzte eine Miene auf, als  habe er auf eine Zitrone gebissen. „Kein Grund zur Sorge“, fügte Gero beschwichtigend hinzu und gab sich Mühe ein Lächeln zu unterdrücken. „Wir sind keine Scharlatane und werden Euch für Eure Großzügigkeit angemessen bezahlen.“

Der Mann trat noch ein Stück weiter vor die Tür und hielt seine Öllampe noch ein Stückchen höher empor, um sich zu vergewissern, ob sein Gegenüber die Wahrheit sprach.

Struan war zwischenzeitlich abgestiegen, um seinen Ordensbruder bei dessen Anliegen zu unterstützen. Er trat einen Schritt nach vorn, damit der Bauer auch ihm ins Gesicht sehen konnte.

Was wohl keine so gute Idee war, wie Gero an den aufgerissenen Augen des Mannes sah, während der den hünenhaften Schotten von oben bis unten musterte. Ein riesiger Muskelberg mit schwarzem Bart und schwarzen, kurzgeschorenen Locken, dazu Augen so schwarz wie die Seele des Teufels, die sich nun zu einem bemühten Lächeln verengten. Struan hatte wohl vergessen, dass er damit das makellose Gebiss eines Raubtiers zum Vorschein brachte, weil seine Eckzähne von auffallender Größe waren. Er bemerkte es erst, als der Mann ihn unentwegt anstarrte. „Bonjour monsieur“, brummte der Schotte mit zusammen gekniffenen Lippen, was die ängstliche Stimmung des Alten  keinesfalls verbesserte.  

Beiläufig beäugte der Bauer die getrockneten Blutflecke auf Struans Unterwams.

Damit bestätigte sich für ihn wohl die Ansicht seiner Frau, dass von solch gewalttätig anmutenden Kerlen nichts Gutes zu erwarten war. Schließlich hörte man allenthalben, dass es sich bei den Brüdern des Tempels zwar um gottesfürchtige, aber wilde Gesellen handelte, die gerne einmal über die Stränge schlugen. Dabei entzogen sie sich geschickt jeder weltlichen Gerichtsbarkeit, da sie im Falle eines Fehlverhaltens nicht von gewöhnlichen Gerichten verurteilt wurden, sondern auf ihre eigenen zurückgriffen. Der Richterspruch des so genannten Kapitels war streng geheim und für das gemeine Volk nicht einsehbar. So entstand gerne der Eindruck, dass ihre Missetaten womöglich ungesühnt blieben und den vermeintlichen Opfern der Anspruch auf Genugtuung verwehrt wurde.

Erst kürzlich war unter den fahrenden Händlern eine Geschichte herum gegangen, bei der mehrere Templer einer unbescholtenen Jungfrau angeblich Gewalt angetan und dem armen Mädchen so zugesetzt hatten, dass es hernach ins Wasser gegangen war. Dass es sich dabei in Wahrheit um Söldner des Königs gehandelt hatte, schien im Nachhinein niemanden zu interessieren.

Geros feines Gespür für Menschen zeigte ihm an, dass der Mann immer noch unentschlossen war, ob er sie einzulassen durfte und als auch noch seine keifende Frau, eine dürre hässliche Vettel in einem schmuddeligen Gewand, erneut im Türrahmen erschien, beschloss er diesem unwürdigen Theater ein Ende zu bereiten. Schließlich hatte er nicht vor wie Maria und Josef mit ihrem Kind von Haustür zu Haustür zu pilgern, bis sie endlich jemand aufnahm.

Er straffte seine Schultern und richtete sich zu voller Größe auf. Sein Gesichtsausdruck war plötzlich kalt und arrogant. Ganz so wie er es von seinem Vater kannte, wenn der am Quartalsende mit zahlungsunwilligen Leibeigenen verhandelte und ihnen ein unmissverständliches Ultimatum setzte, dass den Hungerturm in Aussicht stellte, wenn sie den geforderten Tribut schuldig bleiben. Gero sah dem Mann fest in die Augen, während dieser vergeblich versuchte seinem klaren, himmelblauen Blick zu entziehen.

„Ich kann verstehen, dass ihr Bedenken habt wildfremde Leute aufzunehmen“, begann Gero mit der sonoren Stimme eines Beichtvaters. „Deshalb verzeiht mir, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe.“ Er nahm Haltung an und verneigte sein kurzgeschorenes, sandblondes Haupt, bevor er erneut aufschaute und den Mann mit einem verbindlichen, Blick bedachte.  „Mein Name ist Gerard von Breydenbach“, begann er ernst. „Meine Familie entstammt einem angesehenen Rittergeschlecht, welches Lehnsnehmer des Erzbistums Trier ist. Die Schwester meiner Mutter ist eine Gräfin von Lichtenberg zu Waldenstein. Mein verstorbener Onkel war ein Bruder des Herzogs.“

Das saß.

Der Bauer schluckte, drehte seinen Kopf zur Seite und bedachte seine Frau mit einem undurchsichtigen Blick, der alles Mögliche bedeuten konnte. Dass der Kerl adlig war, hatte er sich ohnehin schon gedacht und die Herren von Lichtenberg waren hier in der Gegend so bekannt wie der liebe Gott persönlich, herrschten sie doch über den halben Elsass und hatten bis vor wenigen Jahren die Bischofssitze von Straßburg und Metz inne gehabt. Prüfend glitt der Blick des Bauern über Geros bärtiges Gesicht. Die meisten Ordensritter waren von adliger Herkunft, aber dass musste nicht unbedingt bedeuten, dass sie sich auch zu benehmen wussten.

Unentschlossen trat er von einem Bein auf das andere, unfähig eine vernünftige Antwort herauszubringen. Seine Frau hingegen schien geistesgegenwärtiger als er und machte noch einen letzten Versuch.

„Wir sind nur arme Bauern und können Euch bestimmt nicht das an Unterkunft bieten, was Ihr gewohnt seid. Zudem kann ich Euch nur eine einfache Suppe zum Nachtessen reichen.“ Insgeheim hoffte sie wohl, dass die ungebetenen Gäste besseres erwartet hatten und von ihrem Ansinnen, bei ihnen übernachten zu wollen, Abstand nahmen.

Mit gekünstelter Demut schlug sie die Augen nieder und sah dabei aus wie ein Schaf, dass zur Schlachtbank geführt wird.

Aber da kannte sie Gero schlecht. Der Anblick ihrer hervorstehenden, braunen Schafsaugen und ihrer ungepflegten Zähne wirkten zusammen mit ihrer abweisenden Art alles andere als einladend, aber schließlich  wollten sie hier nur eine Nacht verbringen. Und angesichts der Umstände, dass sie sich in Gesellschaft einer schwangeren Frau auf der Flucht befanden, konnten sie bei der Wahl ihrer Unterkunft nicht wählerisch sein. „Madame, macht Euch keine Gedanken, wir Templer sind bescheidene Schlafstätten gewöhnt und der Herr segnet auch ein einfaches Mahl - wo können wir die Pferde unterstellen?“ Geros kurze elegante Verbeugung unterstrich, dass er nicht damit rechnete weiterhin abgewiesen zu werden.

Der Bauer gab sich geschlagen und auch seinem Weib fiel offenbar nichts mehr ein, was sie noch hätte vorbringen können.

„Seigneur“, sagte der Bauer und verneigte sich ehrfürchtig. „Wir haben zu danken. Für Euer Vertrauen und dass Ihr unser bescheidenes Heim für würdig erachtet, fügte er mit bittersüßer Stimme hinzu. „Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, die Stallungen sind dort hinten. Mein Sohn wird Euch helfen das Gepäck ins Haus zu tragen.“ Der Bauer stieß einen lauten Pfiff aus und ein großer schlaksiger Junge, der bereits neugierig an der Tür gestanden hatte kam hervor und entzündete eine Kienspanfackel.

Gero wandte sich um und bedachte seine Begleiter mit einem triumphierenden Grinsen.

 

Mit wenigen Schritten war Struan bei Amelie und hob sie mit einer schwungvollen Bewegung vom Pferd. Sie stütze sich mit ihren Händen auf seinen breiten Schultern ab und lächelte erleichtert. Als sie mit beiden Füssen auf dem Boden stand,  war sie versucht ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken.

Bevor es dazu kam zog er geistesgegenwärtig den Kopf weg. Aus einem Augenwinkel heraus hatte er mitbekommen, dass die Bauersfrau sie interessiert beobachtete.

Er lächelte Amelie, die einen Moment zu spät begriff, warum er so reagierte und bereits schmollte, entschuldigend an. Als Entschädigung für den entgangenen Kuss hielt er sie einen Augenblick länger im Arm, als es unbedingt notwendig gewesen wäre. Amelie massierte sich unterdessen die schmerzende Kehrseite.

Die Bauersfrau schlich an sie heran und beäugte sie neugierig. Das Mädchen trug keinen Schleier auf dem Kopf und kein festes Gebende, wie sie selbst, das straff unter dem Kinn geschnürt wurde. Also war sie noch nicht verheiratet. „Jungfer, ihr seht völlig erschöpft aus, wollt  ihr schon mit mir mitkommen?“, fragte die Alte in linkischem Ton. „Beim Abladen der Pferde müsst ihr bestimmt nicht helfen. Ich habe zwei Töchter, die kaum jünger sein dürften, als Ihr es seid. Sie werden Euch gerne behilflich sein, damit Ihr euch frisch machen könnt.“

Auf die eine oder andere Weise würde sie schon herausbekommen, was es mit dieser seltsamen Reisegesellschaft auf sich hatte.

Soweit ihr bekannt war legten die Templer als Mönche ein Keuschheitsgelübde ab, allerdings glaubte sie nicht, nach allem was ihr zu Ohren gekommen war, dass sie sich auch daran hielten. Wieso also waren diese hier mit einer einzelnen Frau unterwegs? Nur ein paar Mal hatte sie leibhaftige Templer zu Gesicht bekommen, wenn sie in Gruppen über Land ritten und ihr schwarz-weißes Banner aufdringlich im Wind flatterte. Nie hatte sie davon gehört, dass sie zu nur viert unterwegs waren oder von Frauen begleitet wurden…. Bevor sie wieder ins Haus ging, warf sie den drei Rittern und deren Begleiter einen argwöhnischen Blick zu.

 Amelie folgte der unsympathischen Frau nur zögernd. Das Erlebnis von heute Morgen hatte sie zwar weitgehend verdrängt, aber als Resultat daraus erfüllte sie jede räumliche Trennung von Struan, war sie auch noch so kurz, mit Unbehagen. Struan zwinkerte ihr aufmunternd zu.

„Ich komme gleich“, formten seine Lippen zu einem stummen Zuspruch.

 

Die Stallungen waren recht niedrig und die Pferde hatten kaum Platz in den engen Verschlägen zwischen Kühen und Ziegen. Besonders Atlas und Struans schottisches Great Horse hatte Schwierigkeiten. Es fehlte nicht viel und beide Tiere stießen mit ihren Köpfen an die Trägerbalken der Stalldecke.

„Was für ein Loch“, beschwerte sich Gislingham mit einem Murren, während er sein Pferd an die dafür vorgesehene Stange band.

„Du kannst gern bei den Wölfen schlafen“, empfahl ihm Gero, der

Struan bei jeder Tür den Kopf einziehen musste.

 

Matthäus, der noch im Stall geblieben war und die Pferde getränkt und mit dem dargebotenen Futter aus Heu und Stroh versorgt hatte, sah sich suchend um, nachdem Gero mit den anderen Brüdern nach draußen gegangen war.

„Wenn du deine Begleiter suchst, die sind in der Küche“, sagte der Bauernjunge, der ihn bei seinen gewohnheitsmäßigen Aufgaben eifrig unterstützt hatte. Er war ein Stückchen größer als Matthäus und vielleicht auch ein oder zwei Jahre älter. Sein Haar war feuerrot und er hatte unzählige kleine hellbraune Sprenkel im Gesicht.

„Ich heiße Linhart und du?“

„Matthäus.“

Matthäus war gegenüber fremden Jungen, die nicht zum Orden gehörten immer ein wenig einsilbig. Bei der Masse an Gleichgestellten in der Komturei hatte er es einfach nicht nötig, sich auch noch mit Jungen aus anderen Ständen einzulassen. Gero hatte ihn schon des Öfteren davor gewarnt hochnäsig zu werden, nur weil er adlig war und zum Orden der Templer gehörte. „Es reicht nicht von edler Geburt zu sein“, sagte Gero immer. „Ansehen und Ehre muss man sich verdienen.“

Na ja ein bisschen stolz war Matthäus schon, schließlich war es etwas Besonderes Knappe eines Templers zu sein und vielleicht später selbst einmal als Ordensritter dazuzugehören.

Linhart ließ sich von Matthäus Zurückhaltung nicht beeindrucken.

„Bist du auch ein Templer?“, fragte der Junge naiv. Matthäus grinste über so viel Unwissenheit.

„Nein“, begann er, „ich bin der Knappe eines Templers. Templer wirst du erst nachdem du Knappe warst und danach die Ausbildung zum Ritter hinter dich gebracht hast. Zunächst wirst du für ein Jahr als Novize aufgenommen, wenn man dich für würdig erachtet und wenn du kräftig und geschickt genug bist, nimmt man dich vielleicht als Ritterbruder auf. Im nächsten Jahr werde ich vielleicht als Novize bei den Templern aufgenommen. So Gott will“, schloss er mit einem kleinen Seufzer ab. Tapfer versuchte er das ungute Gefühl zu verdrängen, dass es ohne weiteres anders kommen konnte. Wie er beiläufig vernommen hatte, sollte Gero ihn, unter der momentanen Lage, in ein Zisterzienserkloster bringen. Dort konnte er leicht auch ein Leben als Novize beginnen, wollte er aber nicht, denn es war ein riesiger Unterschied, ob man als gewöhnlicher Mönch sein Dasein fristete oder als ehrenvolles Mitglied der Miliz Christi, die allein durch ihre Kampfkraft in der Bevölkerung ein völlig anderes Ansehen genossen. Außerdem konnte und wollte er sich ein Leben ohne seinen Herrn nicht vorstellen. Seit gestern schon betete er unaufhörlich zur Heiligen Jungfrau, dass sie ihn davor bewahren sollte, ohne ihn auskommen zu müssen. Doch nach allem, was geschehen war, ahnte Matthäus, dass in Zukunft nichts mehr so sein würde wie es war.

„Ich würde auch gerne später einmal den Templern angehören“, sagte Linhart mit einem wehmütigen Blick. „Sie sind tapfere Recken, mit gefährlichen Waffen und Jedermann fürchtet sie, sogar meine Mutter und das will was heißen.“

„Du brauchst vor der Miliz Christi keine Angst zu haben“, belehrte ihn Matthäus mit treuem Blick. „Allerdings, wenn du selbst Ritter im Orden der Templer werden willst, musst du adligem Geblüt entstammen.“

Der Junge schaute ihn entmutigt an. „Na dann kann ich es wohl vergessen, “ sinnierte er hoffnungslos.

„Na ja, “ beschwichtigte Matthäus die Enttäuschung seines neu gewonnenen Freundes, „du musst auch fünfmal am Tag beten, manchmal öfter, sogar Nachts und eine Frau heiraten oder eine Familie haben darfst du auch nicht.“

„Das mit den Frauen wäre mir egal“, erklärte Linhart frei heraus, „aber das mit dem dauernden Beten wäre schon ein schweres Los.“ Matthäus lächelte milde. „Das gehört zum Klosterleben aber dazu wie das tägliche Brot“, belehrte er ihn.

„Dann bleib ich lieber Bauer“, beschied Linhart entschlossen und fasste ihn am Arm. „Komm ich bring dich in die Stube, da kannst du was essen und wenn du willst, zeig ich dir hinterher unsere jungen Katzen, die sind nämlich erst vor ein paar Tagen auf die Welt gekommen und noch ganz klein.“

Matthäus nickte zustimmend. „Katzen sind meine Lieblingstiere“, entfuhr es ihm und zugleich stellte er sich die bange Frage, was wohl aus all den Tieren geworden war nachdem die Komturei zu brennen begonnen hatte.

 

Gero ließ seinen Blick verhalten durch die gute Stube schweifen. Die Wohnküche des Hauses war verhältnismäßig groß und die ehemals weiß getünchten Wände waren an der Decke und rund um den eisernen Abzug rußgeschwärzt. In einer  Ecke stand ein grob gezimmerter Eichenholztisch mit sechs  Stühlen, die der Bauer seinen Gästen zuwies. Die Mädchen setzten sich auf zwei Bänke, die neben dem Kamin standen und die Frau machte sich am Herd zu schaffen. Eine gewisse Anspannung lag in der Luft, in der offenbar niemand gewillt war unvermutet das Wort zu ergreifen.

Neben dem Kamin hatte man an der Wand eiserne Haken befestigt an denen Küchengeräte und blank gescheuerte Töpfe und Pfannen hingen, die auf das Talent und die Fähigkeiten ihrer Besitzerin Rückschlüsse zuließen. Die Familie hatte bereits zu Abend gegessen und die Bauersfrau verteilte nun einen Rest Erbsensuppe aus einem großen Kessel, der an einer Kette über dem Feuer hing in sechs irdene Schalen und versah sie mit Holzlöffeln. Um die Suppe gehaltvoller erscheinen zu lassen, fügte sie heißes Wasser hinzu und schnitt auf einer hölzernen Ablage neben dem Kamin eine Speckseite zu kleinen Würfeln auf, die sie anschließend auf die kärglichen Mahlzeiten verteilte.

Amelie drehte sich schon beim Zusehen der Magen um. Gott sei Dank gab es auch noch grobes Roggenbrot und fest geschlagenen Rahm vermischt mit klein gehackten Kräutern, um ihren Hunger zu stillen. Mit dankbarem Nicken nahmen Gero und seine Kameraden die Suppe entgegen, wobei sie kurz in Blickkontakt traten.

Gislingham zögerte einen Moment. Der Anblick des Essens erinnerte ihn an Erbrochenes. Außerdem war heute Freitag. Das bedeutete, dass gewöhnlich kein Fleisch gegessen werden durfte. Was bei Gero und seinen Freunden die reine Höflichkeit war, die sie daran hinderte das Essen zurückzuweisen, entsprang bei Guy de Gislingham dem Hunger, der unnachgiebig in seinem Innern rumorte. Mittlerweile waren auch Matthäus und sein junger Begleiter im Türrahmen erschienen. Mit einer artigen Verbeugung nahm Matthäus  seine Ration entgegen und ließ sich neben den Kindern des Bauern auf der Bank nieder.

Wie auf ein Zeichen stellte er die Schale neben sich auf die Bank. Dann bekreuzigte er sich wie die Ritterbrüder und faltete wie sie die Hände. Gero versah ihn mit einem strengen Seitenblick und Matthäus beeindruckte ihre Gastgeber mit einem Tischgebet in Latein.

Linhart starrte ihn mit seinen großen, runden Augen an, und als er geendet hatte zischte er ungläubig: „Du beherrscht sogar die Sprache der Priester?“

„Was dachtest du denn?“, erwiderte Matthäus kaum hörbar und kassierte schon wieder den strengen Blick seines Herrn, der soeben den Segen erteilt hatte und ihn mit seiner finsteren Miene an das Schweigegebot bei Tisch erinnerte.

Die Töchter des Bauern, zwei hübsche Mädchen, die ihrer Mutter keinesfalls ähnlich sahen und vielleicht  im Alter von vierzehn und sechzehn waren, starrten unentwegt auf Struan, während der konzentriert seine Suppe löffelte und flüsterten dabei miteinander. Ihnen entging nicht das Geringste, während sie ihn anstarrten, als ob er eine Erscheinung wäre. Angefangen von seinem dichten, pechschwarzen Schopf bis hin zu den riesigen Füßen, die in gut verarbeiteten Lederstiefeln steckten, betrachteten sie jeden Zoll seiner hünenhaften Erscheinung. Dabei setzten sie offenbar unterschiedliche Prioritäten. Die Jüngere war hauptsächlich an seiner auffälligen Kleidung und seinem beeindruckenden Schwertgehenk interessiert. Die Ältere konzentrierte sich auf seine markanten Gesichtszüge, die dunklen Augen und seinen muskulösen, eleganten Körperbau, der sich so sehr von dem unterschied, was die gedrungenen Bauernjungen des Dorfes zu bieten hatten.

Ab und an kicherten sie und ernteten dafür böse Blicke von ihrer Mutter sowie von Amelie, der diese Fleischbeschau überhaupt nicht zu gefallen schien.

Guy de Gislingham saß währenddessen unscheinbar in einer Ecke, die ihm als vermeintlicher Diener zugewiesen worden war,  und verfolgte mit einem lauernden Blick sämtliche Geschehnisse. Niemand schenkte ihm Beachtung, was ihn zu ärgern schien.

Sein Aussehen war nichtssagend und in seinem abgetragenen Gewand wirkte er wie ein Leibeigener. Verächtlich löffelte er die seiner Meinung nach unzumutbare Mahlzeit.

Angewidert spuckte er ab und an ein Stück Knorpel in seine Schüssel und stellte sie schließlich ganz beiseite. Er hob den Holzbecher an die Lippen und setzte ihn sogleich wieder ab, als das abgestandene Wasser seine Lippen benetzte.

„Habt Ihr keinen Wein?“, fragte er fordernd und bedachte den Bauern mit einem unverständlichen Blick. Der Bäuerin gingen Mund und Nase auf und ihr entrüsteter Blick wanderte zu Gero hin, der den unverschämten Diener ihrer Ansicht nach wohl in die Schranken weisen sollte. Stattdessen blinzelte Johan Guy de Gislingham finster an und räusperte sich unmissverständlich. Was der Bauer allem Anschein nach missverstand, denn er sprang rasch auf und entschuldigte sich bei Gero mit einer dienstbeflissenen Verbeugung. „Selbstverständlich habe ich Wein im Keller. Es tut mir leid …“

„Macht euch keine Gedanken“, beruhigte ihn Gero. „Wir wollen Euch nicht zur Last fallen. Wasser reicht vollkommen, um unseren Durst zu stillen. Wir danken euch für eure Gastfreundschaft. Es ist weit mehr, als wir erwarten dürfen“

„Was soll der Quatsch!“ krakelte Guy de Gislingham, während die Bäuerin rasch die benutzten Teller abräumte. „Was hat dieser Fraß in Herrgotts Namen denn mit Gastfreundschaft zu tun. So was kriegen da wo ich herkomme, die Schweine! Und ich will einen Wein und kein Wasser, dass nach Jauche schmeckt!“, verkündete er stur wie ein Gutsherr, der seine Dienerschaft befielt.  Mit einem linkischen Blick streifte er Gero, wobei er wohl darauf wartete, dass der aus der Haut fuhr, was er jedoch nicht tat.

Gero beabsichtigte nicht, sich hier vor den Bauern mit dem Engländer auf einen fruchtlosen Streit einzulassen. Es war schon schlimm genug, das Gislingham mit seinem Geschrei so viel Aufmerksamkeit erregte und die Bauersfamilie womöglich nur noch mehr ängstigte. Das war auch der Grund, warum Gero sein Schwert stecken ließ und dem rüden Engländer keine Lektion in Gehorsam erteilte, wobei es ihn natürlich in den Fingern kribbelte.

Der Bauer erhob sich trotz Geros Beschwichtigungen leise seufzend und ging hinaus. Nach kurzer Zeit kehrte er mit einem irdenen Krug zurück. Ungefragt stellte er jedem, sogar Matthäus einen gut gefüllten Becher Wein vor die Nase.

 „Erlaubt mir eine Frage“, begann er, nachdem er sich wieder hingesetzt hatte und bemerkte, dass seine Frau sich vor Neugier kaum noch zu halten vermochte, „was verschlägt  Männer wie Euch in diese einsame Gegend und dazu noch in Begleitung einer so lieblichen Jungfrau.“

Das Wort „Jungfrau“ fiel Gero eine Spur zu anzüglich aus und er war auf der Hut, bei dem was er zur Antwort gab. Zudem hoffte er, dass Guy de Gislingham ihm nicht mit weiteren Zugaben in die Quere kam.

„Wir sind auf dem Weg nach Lothringen“, sagte er knapp. „Geschäfte im Auftrag des Ordens.“

Er vermied es Struan und Johan anzusehen, konnte aber sicher sein, dass sie nichts Gegenteiliges zum Besten geben würden.

„Verzeiht“, unterbrach Gero jeden weiteren Gedankengang der Bauersleute und sah zudem eine Möglichkeit sich weiteren Fragen zu entziehen, „habt Ihr eine Latrine?“

„Ja, hinter den Stallungen.“ Der Bauer stand auf und überreichte ihm eine frisch entfachte Öllampe. „Kommt, ich weise euch den Weg.“

Von der Stube aus konnte man über einen zugigen Flur unmittelbar den Kuhstall erreichen und von dort aus führte eine kleine Tür direkt hinters Haus zu einem gewissen „Örtchen“, das aus einem verwitterten Bretterhäuschen bestand, das ein Guckloch aufwies, damit ein wenig Licht einfallen konnte, damit man das Laub und das Moos fand, um sich den Hintern abwischen zu können. Der Bauer begleitete ihn, bis an die Tür, weil es inzwischen so dunkel war, dass man ohne Licht die Hand vor Augen nicht sehen konnte. Am Abort angekommen, entzündete der Bauer einen Kienspan und reichte ihn Gero, damit er ihn in den lehmigen Boden stecken konnte.

Gero gab dem Bauern zu verstehen, dass er sich nun auch alleine zurechtfinden konnte. Als er den Ort der Erleichterung wieder verlassen wollte, blies ein Windzug den Kienspan aus und er musste sich den Weg zurück durch den Stall ertasten. Die Tür zwischen Kuhstall und Flur stand einen Spalt auf. Von dort  drang ein Lichtschein zu ihm vor und er vernahm eine leise aber heftige Unterredung zwischen dem Bauer und seiner Frau. Mit dem Rücken zur Wand, verharrte er gleich neben der Tür, um zu verstehen, was  nebenan gesprochen wurde.

„Erzähl mir nichts Antoine“ keifte die Alte mit gedämpfter Stimme, „mit diesen Kerlen stimmt etwas nicht, da bin ich mir sicher!“

„Jacotte, was du immer hast“, kam ihr der Bauer entgegen. „Was soll denn mit denen nicht stimmen? Du hast doch gehört was der Deutsche gesagt hat. Sie sind auf der Durchreise im Auftrag des Ordens. Warum sollte er mich denn anlügen?“

„Weil es hier alle paar Meilen eine Templerkomturei gibt. Dort hätten sie genauso gut hin reiten können.“

„Vielleicht, weil sie von der Nacht überrascht wurde“, sagte der Bauer. „Schließlich haben sie eine junge Frau dabei, die sich bei Nacht sicherlich ängstigt.“

„Och!“, seine Frau stieß einen mürrischen Laut aus, der nichts anderes besagte, als dass sie Worte ihres Mannes für Unsinn hielt. „Hast du mal gesehen, wie sich der große Schwarzhaarige und diese ach so arme Jungfer anschauen? Wenn die kein Verhältnis miteinander haben, fresse ich einen Besen mit Stiel!“, sagte die Bäuerin in einem gehässigen Tonfall. Der Bauer schnaubte. „Ach Weib, was geht uns das an. Vielleicht geleiten sie das Mädchen in ein Kloster?“

„Pah“, schnappte die Vettel spitz. „Du hast weder Ahnung von Frauen, noch von Männern. Der schwarzhaarige Kerl, der ihr den Hof macht, ist ein beeindruckender Bursche. Hast du seine Zähne gesehen? Sie sehen aus, wie die eines Raubtiers. Und erst seine Schultern, als hätte er schon als Kind dauern Wagenräder getragen.“

„Den Mädchen scheint er zu gefallen“, meinte der Bauer süffisant. 

„Anstatt dich über deren Interesse zu amüsieren, hättest du sie längst ins Bett schicken sollen. Wenn du nicht aufpasst, hängen sich unsere Töchter ihm ebenso ungefragt an den Hals, wie diese kleine Hure, die – so wie ich es sehe - guter Hoffnung ist.“

„Du meinst, er hat sie geschwängert? Ich denke er ist ein Templer?“

„Mein Gott Antoine, bist du naiv. Denkst du ernsthaft, dass sich diese Templer an ihr Keuschheitsgelübde halten? Du weißt doch selbst was  geredet wird, denk nur mal an die Geschichte des Händlers aus Metz. Es hieß, solche Kerle haben erst vor kurzem einem unschuldigen Mädchen auf brutale Weise Gewalt angetan. Und wie keusche, dem Leben abgewandte Mönche sehen die drei Ritterbrüder mitsamt ihrem Diener ja nun wirklich nicht aus. Vielleicht reicht ihnen das Mädchen ja nicht und sie überfallen heute Nacht deine tugendhaften Töchter und entehren sie?“

Der Bauer stieß einen geräuschvollen Seufzer aus. „Und?“, zischte er leise. „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Soll ich sie rauswerfen? Bis auf den Diener und den Knappen sind alle einen Kopf größer als ich. Der Schwarze passt kaum durch die Tür und hast du ihre Waffen gesehen? Vielleicht möchtest du ja dein Leben zukünftig lieber als Witwe verbringen? Außerdem hast du vergessen was der Deutsche gesagt hat? Er ist von Adel. Was soll passieren, wenn wir ihnen Unrecht tun und es auf uns zurückfällt?“

„Alter Narr“, schimpfte die Bauersfrau. „Vielleicht tun wir ein gutes Werk, wenn wir den Grafen und seine Soldaten verständigen, damit er sich persönlich um sie kümmert.“

„Hast du den Verstand verloren, Jacotte? Nein, in so etwas will ich gar nicht erst hineingezogen werden. Nachher haben wir noch die Templer von Metz am Hals. Es reicht mir, wenn sie heute hier übernachten und danach wieder Ruhe ist.“

„Du hättest sie gar nicht erst reinlassen sollen. Ich werde heute Nacht bestimmt kein Auge zu tun!“

Gero schüttelte grimmig den Kopf über so viel Boshaftigkeit. Der alte Templerspruch „Trau keiner Frau“ bestätigte sich mal wieder für ihn. Gleichzeitig tat ihm der Bauer leid.

Schwungvoll öffnete er den Verschlag zum Flur.

Erschrocken fuhren die beiden zänkischen Eheleute herum und hielten ihm eine brennende Kerze vors Gesicht, dabei vermittelten sie einen Eindruck wie frisch ertappte Diebe auf der Flucht und für einen Moment entstand eine peinliche Stille.

„Ich hoffe ich störe nicht?“ fragte Gero blinzelnd und lächelte anschließend honigsüß.

„Nein…nein, alles in bester Ordnung. Kommt…kommt doch wieder in die Stube“, stotterte der Bauer, „ich wollte soeben eine neuen Krug Wein holen.

„Macht euch bitte keine weiteren Umstände, “ entgegnete Gero leutselig und öffnete der Bäuerin die Tür zur Wohnstube. „Ich denke, wir sollten uns zur Nacht begeben.“

„Ja, Ihr habt recht, es ist schon spät“, bestätigte die Bäuerin, als sie die Küche betraten und nickte mahnend ihrer älteren Tochter zu, „Marie zeig der Dame ihre Kammer.“

Dann wandte sie sich Amelie zu und mit einem katzenhaften Lächeln sagte sie: „Ihr könnt das Bett unserer Großmutter haben, sie ist erst vor vierzehn Tagen darin gestorben. Kein Siechtum, sondern Altersschwäche. Ich hoffe, dass macht euch nichts aus. Ich habe die Strohmatratzen gelüftete, alle Decken und die Kopfkissen gewaschen. Es ist das einzige Zimmer wo ihr ungestört schlafen könnt.“

 „Herzlichen Glückwunsch“, murmelte Johan und warf Amelie ein bedauerndes Lächeln zu, das sie mit einer abwehrenden Grimasse belohnte. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie von einem solch großartigen Angebot halten sollte und schaute mit einem Seitenblick verzweifelt zu Struan hin. Dessen strenge Miene zeigte keinerlei Regung, doch in seinen Augen glühte das warme Feuer der Liebe.  Er erhob sich zu seiner vollen Größe und sagte ruhig: „Gut Jungfer Amelie, ich hole eure Sachen. Wartet in eurer Kammer, ich bin gleich Euch.“

„Wo dürfen sich meine Männer niederlassen?“ fragte Gero, dem der ironische Blick der Bäuerin nicht entgangen war, wobei er mit seinem Vorstoß beabsichtige, die Bauersfrau von Amelie und Struan abzulenken.

„Wenn ihr erlaubt, werde ich für Euch, Eure Kameraden und den Knappen Strohsäcke vor dem Kamin auslegen. Der Diener kann sein leger im Stall aufschlagen“, bemerkte sie mit einem zuckersüßen Lächeln.“ Sie konnte Gero bei dem was sie sagte nicht in die Augen schauen.

 „Ich schlafe auch im Stall, bei den Pferden“, verkündete Johan frei heraus.

„Das ist nicht nötig“, bemerkt eine quengelnde Stimme aus dem Hintergrund. Gero drehte sich langsam um und schaute ebenso verdutzt wie Johan auf Guy de Gislingham.

„Bruder Guy“, sagte Johan mit einem lakonischen Grinsen. „Ich versteht es, mich zu überraschen.“

Jeder, der Bruder Guy kannte, wusste, dass er einen gewissen Luxus gewöhnt war und nicht zu den Menschen zählte, die freiwillig darauf verzichteten.

„Ich kann allein auf  Pferde und Waffen achten“, näselte er. „Dazu benötige ich keine Gesellschaft.“

„Oh doch“, kam ihm Gero zuvor, bevor er noch weiter ausholen konnte. „Es ist eine gute Idee, dass Bruder Johan dir Gesellschaft leisten will.“

Irgendetwas hatte ihn gewarnt, dem Engländer allzu hehre Absichten zu unterstellen.

Amelie und Struan waren zwischenzeitlich mit der älteren Tochter im hinteren Anbau der Kate verschwunden.

Matthäus war mit dem Bauernjungen in den Heustall gegangen, um sich kleine Katzen anzusehen und nur die jüngste Tochter saß noch auf einer Bank

„Sitz nicht faul herum, mach dass du hochkommst und die Strohsäcke herbeischaffst“, herrschte ihre Mutter sie an.

Gero erhob sich und ging in den Stall. Ein Teil der Satteldecken war bei der Flussüberquerung feucht geworden und er wollte die Gelegenheit nutzen um sie am Kamin zu trocknen. Im Hausflur traf er auf Struan.

„Was hast du vor?“, fragte er ihn. Er hatte Amelies Mienenspiel gesehen und es war unwahrscheinlich, dass sie ohne Probleme und alleine in dem Sterbezimmer dieser alten Frau übernachtete, erst recht nicht nach allem was sie heute schon erlebt hatte.

„Mich zu ihr legen“, sagte Struan schlicht und hob fragend die Brauen. „Oder hast du etwas dagegen?“

„Nein“, erwiderte Gero mit resigniertem Grinsen. „Aber sei vorsichtig und warte bis alle im Bett verschwunden sind. Wir können es uns nicht leisten Aufsehen zu erregen. Wir sind immer noch auf dem Gebiet Philipps IV. und die alte Vettel hatte heute schon einmal die glorreiche Idee den Grafen von Bar über unser Hiersein zu informieren. Ihr Mann konnte sie gerade noch davon abbringen, weil er Scherereien mit dem Orden befürchtete.“

„Woher weißt du das?“, fragte Struan überrascht.

„Das ist der Vorteil wenn man gute Ohren und leise Füße hat“, erwiderte Gero grinsend.

„Ich hab sie belauscht, als ich vom Abort zurückkam.“

„Mach dir keine Sorgen“, meinte Struan beschwichtigend. „Ich pass schon auf, dass uns niemand entdeckt.“

 

Das Zimmer in dem man Amelie untergebracht hatte, war klein, stickig und besaß kein Fenster, sondern nur einen Luftschacht, der mit Ziegenleder verhangen war. Unter dem Türspalt drang ein wenig Licht herein, das ein brennender Kienspan erzeugte, den die Tochter des Hauses in einen Krug mit Sand gesteckt hatte, der im Flur stand.  Die Böden des Hauses bestanden, bis auf die Küche, ausschließlich aus gestampfter Erde.

Eine Mischung aus getrocknetem Urin und ungewaschenem Menschen stieg Amelie in die Nase, und verstärkte die Übelkeit, die durch das Abendessen entstanden war nur noch mehr. Dabei war sie sich nicht im Klaren darüber, ob sie es sich nur einbildete oder ob tatsächlich noch der Geruch der alten, bettlägerigen Frau in der Luft hing. Im unzureichenden Licht der mickrigen Ölfunzel, die ihr das Mädchen überlassen hatte, durchsuchte sie das Bettzeug nach Ungeziefer, wurde aber glücklicherweise nicht fündig. Offensichtlich stimmte was die Frau gesagt hatte. Ein großzügiges weißes Leinentuch lag über den Strohmatratzen und darüber eine grobe dunkle Wolldecke. Auch das Daunenkopfkissen war mit weißem Leinen überdeckt. Angesichts all dieser guten Nachrichten wagte sie es nicht, unter die  Matratze zu schauen.

Das ältere Mädchen kam herein und brachte ihr noch eine Schüssel und einen Krug mit Wasser. Beides stellte sie auf einen kleinen wackeligen Tisch, dazu legte sie ein frisches Leinentuch, dann war sie verschwunden ohne sich zu verabschieden.

Kurze Zeit später stand Struan in der Tür, um ihr die  lederne Packtasche zu bringen, die sie bei ihrer Abreise aus Bar-sur-Aube hastig mit den wichtigsten Dingen gefüllt hatte.

Für einen kurzen Moment betrachtete sie die kleine Marienstatue aus Bronze, die ihr der Vater als Schutzpatronin von einer Messe mitgebracht hatte. Liebevoll streichelte sie über das kühle Haupt und die ansehnliche Rundungen mit den betenden Händen. Wie in der Templer Kapelle von Bar-sur-Aube, stand die Heilige Jungfrau auf einer Mondsichel und trug kein Jesuskind in den Armen. Ob das Zufall gewesen war? Ihr Vater hatte die filigrane Gestalt extra von einem Priester segnen lassen. Was er wohl dazu sagen würde, wenn er den Brief las, den sie ihm hinterlassen hatte, indem sie all ihre Sünden bekannte, darunter den Umstand, auf immer und ewig mit einem schottischen Templer durchgebrannt zu sein.

Amelie zog den dunkelhaarigen Hünen, für den sie im Ernstfall sogar ihre Seele verkauft hätte, ins Zimmer und verriegelte hinter ihm die Tür. Zusammen  hatten sie kaum Platz zum Stehen und Struan stieß mit seinem Kopf fast an die Zimmerdecke. Er zog sie seufzend an sich und wollte sie küssen, aber sie hielt inne und sagte: „Warte einen Augenblick.“ Sie bückte sich rasch und kramte in ihrer Satteltasche, um  eine kleine irdene Dose zum Vorschein zu bringen. Als sie den Deckel anhob, verströmte der Inhalt einen angenehmen Duft nach Lavendel und Rosenöl. Mit geschlossenen Lidern betupfte sie Hals, Dekolletee und Handflächen mit der duftenden Paste. Als sie Struans breiten Hals ebenfalls damit einreiben wollte, wich er leise lachend zurück. „Es mag ja sein, dass ich stinke wie ein Maultier, aber deshalb brauchst du noch lange keinen Pfau aus mir zu machen. Es ist besser du gewöhnst dich rechtzeitig an die ungewaschene Ausgabe meines Körpers. Badehäuser sind rar in Schottland.“

„Schafskopf“, schalt ihn Amelie kichernd, während sie andeutungsweise nach ihm schlug. „Nichts riecht besser als du, gewaschen oder ungewaschen, das ist mir einerlei. Ich mache das wegen der toten Großmutter, damit du mich riechst und nicht sie, wenn du  mit mir das Lager teilst“

„Wenn du wirklich glaubst, dass ich an tote Großmütter denke, während ich so ein dralles Mägdelein wie dich in den Armen halte, kennst du mich schlecht!“ Struan entblößte seine weißen Zähne zu einem amüsierten Grinsen und umfasste ihre Taille mit beiden Armen so kraftvoll, dass sie kaum zu atmen vermochte. Ohne ihre Antwort abzuwarten senkte er seine weichen Lippen auf die ihren und küsste sie lange und leidenschaftlich. Amelie schnappte gierig nach Luft, als er ihren Mund wieder frei gab.

„Bleibst du bei mir?“ fragte sie ängstlich.

„Natürlich, warum sonst wäre ich hier…“, antwortete er belustigt und küsste sie noch mal.

„Jetzt sei doch mal ernst“, sagte sie ungeduldig. „Ich meine nicht heute Nacht. Ich meine jede weitere Nacht, die noch kommt, bis an den Rest unseres Lebens!“

„Ich meine es ernst“, erwiderte er und seine schwarzen Augen funkelten dabei treuherzig.

„Ich möchte mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen.“

„Ich fürchte mich“, sagte sie leise und ein wenig weinerlich. „Du bist und bleibst ein Templer. Wie soll das gehen? Ich meine mit uns und dem Kind?“

„Wir werden eine Lösung finden“, antwortete Struan beschwichtigend und wiegte sie für einen Moment wie ein Kleinkind in seinen Armen. „Erst einmal müssen wir diese Nacht überstehen. Ich komme zu dir, sobald alle im Bett sind. Gero sagte, die Bauersfrau habe ohnehin schon Verdacht geschöpft, ob bei uns alles mit rechten Dingen zugeht. Dem Einlenken des Bauern ist es zu verdanken, dass sie nicht die Soldaten des Grafen von Bar herbei gerufen hat. Sobald wir das Hoheitsgebiet des franzischen Königs verlassen haben, sind wir in Sicherheit. Aber bis dahin dürfen wir kein unnötiges Aufsehen erregen.“

Amelie machte ein resigniertes Gesicht und Struan bemühte sich um ein tapferes Lächeln und bevor er das Zimmer wieder verließ, kniff er ihr zum Trost andeutungsweise in den Po.

Der Bauer war mit einem neuen Krug Wein zurückgekehrt und stellte ihn mit ein paar Bechern auf den Tisch.

„Für die Nacht“, fügte er erklärend hinzu.

Die Strohmatratzen lagen bereits ausgebreitet vor dem Kamin und die Bänke waren an die Seite gerückt worden. Matthäus, der von seinem Ausflug zurückgekehrt war, hatte es sich schon auf einem der provisorischen Betten gemütlich gemacht und sich in eine der Decken eingerollt, die trocken geblieben waren. Johan, der seine Schlafstatt neben Gislingham in den Sattlungen aufschlagen würde,  war dem ungeliebten Bruder bereits nach draußen gefolgt, festgewillt, den undurchsichtigen Engländer nicht aus den Augen zu lassen. Nur noch Gero und der Schotte saßen in der Küche. Struan gähnte demonstrativ, doch das schien den Bauern nicht davon abzuhalten, erneut das Wort an sie zu richten.

„Ich möchte mich bei Euch für das Verhalten meiner Frau entschuldigen“, sagte der Bauer noch einmal, nachdem die Vettel sich ebenfalls unter einem falschen Lächeln zur Nacht verabschiedet hatte. „Sie glaubt jedem Gerücht, dass sie auf dem Markt aufschnappt. Ihr sollt nicht denken, dass wir ungastlich sind.“

„Lasst es gut sein“, lenkte Gero ein, der selten ungastlicher empfangen worden war, allerdings wollte er die andauernde Abbitte des Bauern endlich beenden. „Wir sind froh, mit dem Mädchen nicht im Freien kampieren zu müssen und bis zur nächsten Komturei war es in der herannahenden Dunkelheit einfach zu weit.“ Damit hoffte er auch die Frage geklärt zu haben, warum sie Templerhaus angesteuert hatten.

Der Bauer nickte bedächtig, etwas schien er noch auf dem Herzen zu haben.

Gero glaubte zu wissen, was er hören wollte.

„Ihr braucht euch keine Gedanken über unsere Rechtschaffenheit zu machen. Ich schwöre beim Antlitz der Heiligen Jungfrau, dass wir euch kein Leid antun werden. Wir sind ehrbare Männer, das könnt ihr mir glauben.“ Gero sah dem Bauern unumwunden in die Augen. Er wusste um die Wirkung seines Blickes und der Bauer wich peinlich berührt aus, indem er die Tischplatte fixierte.

„Das habe ich meiner Jacotte auch gesagt“, murmelte er kleinlaut.

„Kommt, wir trinken auf die Gastlichkeit und darauf, dass Gott dieses Haus segnen soll.“

Gero verteilte ein wenig Wein in die Becher und prostete Struan und dem Bauern aufmunternd zu. Dann lehrten der Schotte und er den Becher in einem Zug, als hätten sie sich abgesprochen.

Der Bauer wollte nachschenken, aber Gero machte eine abwehrende Geste. „Ich glaube für heute haben wir genug. Morgen liegt ein anstrengender Tag vor uns und wir sollten uns nun zur Nachtruhe begeben. Was meint ihr Bruder Struan?“ Struan nickte geflissentlich.

Er dachte an Amelie. Er hätte auf die Tischrunde mit dem Bauern gerne verzichten können. Der alte Einfaltspinsel. Sollte er doch von ihnen denken was er wollte.

 „Ich wünsche euch eine geruhsame Nacht“, sagte Gero zum Bauern und erhob sich.

Er schnallte sein Schwertgehenk ab und legte es neben einen der Strohsäcke.

Dann zog er seine Chlamys aus, den weißen Umhang aus edler Worstedtwolle mit dem roten Kreuz auf der linken Schulter, der einen gewöhnlichen Ordensbruder von einem  Templer auf Lebenszeit unterschied. Als er anfing die Schnüre seines Kettenhemdes zu lösen, gab er damit dem Bauern ein unmissverständliches Zeichen, dass dieser sich nun entfernen konnte, was er dann auch kurze Zeit später mit einem Nachtgruß tat. Matthäus schlief bereits und Struan schaffte es, sich in Windeseile bis auf die Unterwäsche zu entkleiden. Kettenhemd, Lederhose und wattiertes Hemd drapierte er sorgsam auf dem Strohsack, seine Chlamys rollte er zu einer Kugel zusammen und platzierte den Umhang an das vermeintliche Kopfende. Dann legte er die graue Wolldecke darüber und man hätte meinen können, dass sich unter dem Aufbau ein Schlafender befand.

„Es scheint mir fast, als machst du so was nicht zum ersten Mal, “ neckte ihn Gero grinsend. Struan blickte verdutzt auf. „Was meinst du, was einem alles einfällt, wenn man einen Vater hat, der einen auf Schritt und Tritt überwacht und ältere Brüder die jede Menge Unsinn im Kopf haben und man sich trotz eines Verbotes daran beteiligen möchte“, erklärte Struan sein Talent. Er wandte sich zur Tür und schaute dann noch einmal abwartend zu Gero hin.

„Mach dich weg“, sagte der und grinste breit, „aber seid leise  - und …denk daran, dass du in der Frühe zeitig hierher zurückkehrst.“

Als er endlich in Amelies unwirtlicher Kemenate angekommen war, fiel sie ihm erleichtert in die Arme.

Sie hatte nur ein dünnes Unterhemd an, das ihr bis zu den Knien reichte; und das was er im spärlichen Licht der Öllampe erkennen konnte,  war genug, um ihm die Sprache zu verschlagen. Sie war zwar klein und zierlich, besaß jedoch wunderbare, große Brüste, von denen seine Hände ebenso wenig lassen konnten, wie von dem runden, drallen Hintern. Ihre goldblonden Locken reichten ihr in einer unglaublichem Fülle bis zu den Hüften und umrahmten mit den großen, braunen Augen, der kleinen Nase und dem vollen Mund das anmutigste Gesicht, dass er je gesehen hatte.

Vor ein paar Monaten noch wäre es ihm unbegreiflich gewesen, dass man sich so sehr nach einer Frau verzehren konnte. Er umarmte sie mit seiner ganzen Kraft und erst ihr leises Aufstöhnen ermahnte ihn weniger fest zuzudrücken. Amelie löste sich nur ungern aus seiner Umarmung, aber sie bevorzugte einen Ortswechsel.

Sie legte sich auf das schmale Bett und gab ihm mit einer auffordernden Geste zu verstehen, dass er den verbliebenen Platz an ihrer Seite einnehmen sollte. Das ließ er sich nicht zweimal sagen, doch zuvor entledigte er sich noch seiner Unterwäsche. Bevor er zu Amelie unter die grobe Wolldecke schlüpfte, erntete er ihren anerkennenden Blick.

Das Bett ächzte unter seinem Körpergewicht und Amelie lächelte nervös.

„Was wird, wenn es zusammenbricht?“

„Dann ziehen wir auf den Boden um. Dass ist nicht weniger bequem“, bemerkte er

in seiner pragmatischen Art.

„Komm her zu mir Mädel“, raunte er. Unter einem leisen Seufzen zog er sie zu sich heran und küsste sie langanhaltend und süß.  „Darauf hab ich eine Ewigkeit gewartet“, stieß er mit seiner rauen Stimme  hervor, die immer ein wenig danach klang, als ob er erkältet wäre. Er strich ihr eine goldblonde Locke aus dem Gesicht und sah ihr verliebt in die Augen. „Geht es dir gut?“

„Jetzt wo du da bist…ja.“

„Ich meine wegen dem Kind, spürst du etwas davon?“

„Ich bin mir nicht sicher. Manchmal spüre ich ein leises Zittern in mir, so als ob ein Pferd eine Fliege von seinem Fell verscheucht. Im Augenblick schmerzt mein Rücken ein wenig, aber das hatte ich zuvor auch schon einmal. Mach dir keine Gedanken, Struan. Es wird sicher alles gut gehen. Schon bald wirst du einen kräftigen Sohn in deinen Armen halten, der dir zur Ehre gereicht.“

Amelie sah den liebevollen  Ausdruck in seinen Augen und küsste ihn aufmunternd auf die Nasenspitze. Dann rollte sie sich auf den Rücken und zog ihn über sich. Genussvoll schob er ihr Hemd hoch und glitt zwischen ihre schmalen Schenkel. Vorsichtig und Zug um Zug besetzte er bereits erobertes Terrain und einen Moment später spürte Amelie, wie er ihr Inneres dehnte und sich tief ihr vergrub.  „Oh, mein Gott“, stöhnte sie leise. „Ist das gut!“

Struan, der sich auf seine Ellbogen gestützt hatte, um sie nicht zu erdrücken hielt inne und sah sie amüsiert an. Sie hatte die Augen geschlossen und im seichten Lichtschein der Lampe erinnerte ihn ihr sanftes Antlitz an das der Madonna von Bar-sur-Aube.

„Es ehrt mich, dass du mich mit dem Namen unseres Allmächtigen ansprichst, aber du darfst nach wie vor Struan zu mir sagen.“

„Ach Stru!“ schallt sie ihn bei seinem Spitznamen, den ihm die Brüder gegeben hatten und versetzte ihm einen vergnügten Klaps auf die Schulter. Als er den Druck in ihrem Innern verstärkte, begann sie ungehemmt zu kichern. Während ein leichtes Beben durch ihren Leib ging, zog sie sich noch enger um ihn zusammen. Struan legte ihr sacht eine Hand auf den Mund. „Sch…kannst du das noch mal machen - nur lautlos? Das war wunderbar…“, sagte er und lächelte selig.

Amelie fuhr ihm mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar und zog seinen Kopf herunter, um sein Ohr zu küssen, dabei berührte sie mit ihrer Zungenspitze zart das Innere seiner Ohrmuschel und erntete nun seinerseits ein leises Kichern. „Das kitzelt“, keuchte er atemlos und sie spürte wie er erschauerte.

Auf einmal war alles so wunderbar fern. Die Auflösung des Ordens, die grässliche Flucht, die toten Soldaten, dunkle schottische Burgen, verlassene Väter, jegliche Keuschheitsgelübde und alle toten Großmütter dieser Welt. Bis in den frühen Morgen würde es nur noch sie beide geben. Es war wie im Himmel.  

 

Gero hatte es sich auf der Strohunterlage so gemütlich gemacht, wie es eben ging. Neben sich vernahm er die ruhigen und regelmäßigen Atemzüge von Matthäus. Er lag auf dem Bauch, das blond gelockte Haupt auf dem schmalen Oberarm gebettet. Einmal mehr dankte Gero der Heiligen Jungfrau in einem stillen Gebet, dass d‘Our so vernünftig gewesen war, ihm den Jungen anzuvertrauen. Die Vorstellung, was geschehen wäre, wenn er Matthäus in Franzien hätte zurücklassen müssen, ließ ihn frösteln. Nachdenklich betrachtete er die kindlichen Züge im Schein des flackernden Feuers. Nein, Matthäus war längst noch kein Mann. So gerne er und auch sein Herr es glauben wollten. Er bedurfte des Schutzes und der Fürsorge eines Erwachsenen, der ihn liebte wie seinen eigenen Sohn. Wie sonst sollte er ein solches Chaos überleben? Gero räusperte sich leise und widerstand dem Bedürfnis Matthäus an sich zu drücken. Wenn er doch nur eine vage Ahnung hätte, wie es weiter gehen sollte, nachdem er den Jungen in Hemmenrode abgeliefert hatte. Fest stand, er hatte in Heisterbach einen Auftrag zu erfüllen. Und so wie es sich entwickelte, würde er es schaffen am 21. Tag des Oktobers dort einzutreffen. Und dann ? Das Haupt der Weisheit. Was sollte das sein und wie konnte es helfen, der Misere eine andere, bessere Richtung zu geben oder sie gar rückgängig zu machen und sie damit zu verhindern?

Er rollte sich auf die Seite und starrte ins Feuer. Ein Stück Buchenholz zerbrach knirschend in zwei Teile und die Flammen im Kamin flackerten lodernd auf, nur um kurze Zeit später wieder in ein rotes, gemäßigtes Glimmen überzugehen.

Vielleicht dachte er auch zu viel nach. In dieser Situation war es müßig Pläne zu schmieden und Absichten zu überdenken. Vielleicht waren sie morgen  längst tot und niemand scherte sich darum.